"Wie
kommen die Physiker dazu, neben der der Abstraktion des Alltagslebens
entstammenden Idee, der ponderabeln Materie, die Idee von der Existenz
einer anderen Materie, des Äthers, zu setzen? Der Grund dafür liegt
wohl in denjenigen Erscheinungen, welche zur Theorie der Fernkräfte
Veranlassung gegeben haben, und in den Eigenschaften des Lichtes, welche
zur Undulationstheorie geführt haben. Wir wollen diesen beiden Gegenständen
eine kurze Betrachtung widmen.
Das
nichtphysikalische Denken weiß nichts von Fernkräften. Bei dem Versuch
einer kausalen Durchdringung der Erfahrungen, welche wir an den Körpern
machen, scheint es zunächst keine anderen Wechselwirkungen zu geben als
solche durch unmittelbare Berührung, z.B. Bewegungs-Übertragung durch
Stoß, Druck und Zug, Erwärmung oder Einleitung einer Verbrennung durch
eine Flamme usw. Allerdings spielt bereits in der Alltagserfahrung die
Schwere, also eine Fernkraft, eine Hauptrolle.
Da
uns aber in der alltäglichen Erfahrung die Schwere der Körper als
etwas Konstantes, an keine räumlich oder zeitlich veränderliche
Ursache Gebundenes entgegentritt, so denken wir uns im Alltagsleben zu
der Schwere überhaupt keine Ursache und werden uns deshalb ihres
Charakters als Fernkraft nicht bewußt. Erst durch Newtons
Gravitations-Theorie wurde eine Ursache für die Schwere gesetzt, indem
letztere als Fernkraft gedeutet wurde, die von Massen herrührt. Newtons
Theorie bedeutet wohl den größten Schritt, den das Streben nach
kausaler Verkettung der Naturerscheinungen je gemacht hat. Und doch
erzeugte diese Theorie bei Newtons Zeitgenossen lebhaftes Unbehagen,
weil sie mit dem aus der sonstigen Erfahrung fließenden Prinzip in
Widerspruch zu treten schien, daß es nur Wechselwirkung durch Berührung,
nicht aber durch unvermittelte Fernwirkung gebe.
Der
menschliche Erkenntnistrieb erträgt einen solchen Dualismus nur mit
Widerstreben. Wie konnte man die Einheitlichkeit der Auffassung von den
Naturkräften retten? Entweder man konnte versuchen, die Kräfte, welche
uns als Berührungskräfte entgegentreten, ebenfalls als Fernkräfte
aufzufassen, welche sich allerdings nur bei sehr geringer Entfernung
bemerkbar machen; dies war der Weg, welcher von Newtons Nachfolgern, die
ganz unter dem Banne seiner Lehre standen, zumeist bevorzugt wurde. Oder
aber man konnte annehmen, daß die Newtonschen Fernkräfte nur scheinbar
unvermittelte Fernkräfte seien, daß sie aber in Wahrheit durch ein den
Raum durchdringendes Medium übertragen würden, sei es durch
Bewegungen, sei es durch elastische Deformation dieses Mediums. So führt
das Streben nach Vereinheitlichung unserer Auffassung von der Natur der
Kräfte zur Ätherhypothese. Allerdings brachte letztere der
Gravitationstheorie und der Physik überhaupt zunächst keinen
Fortschritt, so daß man sich daran gewöhnte, Newtons Kraftgesetz als
nicht mehr weiter zu reduzierendes Axiom zu behandeln. Die Ätherhypothese
mußte aber stets im Denken der Physiker eine Rolle spielen, wenn auch
zunächst meist nur eine latente Rolle.
Als
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die weitgehende Ähnlichkeit
offenbar wurde, welche zwischen den Eigenschaften des Lichtes und denen
der elastischen Wellen in ponderabeln Körpern besteht, gewann die Ätherhypothese
eine neue Stütze. Es schien unzweifelhaft, daß das Licht als
Schwingungsvorgang eines den Weltraum erfüllenden, elastischen, trägen
Mediums gedeutet werden müsse. Auch schien aus der Polarisierbarkeit
des Lichtes mit Notwendigkeit hervorzugehen, daß dieses Medium - der Äther
- von der Art eines festen Körpers sein müsse, weil nur in einem
solchen, nicht aber in einer Flüssigkeit Transversalwellen möglich
sind. Man mußte so zu der Theorie des "quasi-starren" Lichtäthers
kommen, dessen Teile relativ zueinander keine anderen Bewegungen auszuführen
vermögen als die kleinen Deformationsbewegungen, welche den Lichtwellen
entsprechen.
Diese
Theorie - auch Theorie des ruhenden Lichtäthers genannt - fand ferner
eine gewichtige Stütze in dem auch für die spezielle Relativitätstheorie
fundamentalen Experimente von Fizeau, aus welchem man schließen mußte,
daß der Lichtäther an den Bewegungen der Körper nicht teilnehme. Auch
die Erscheinung der Aberration sprach für die Theorie des quasistarren
Äthers.
Die
Entwicklung der Elektrizitätstheorie auf dem von Maxwell und Lorentz
gewiesenen Wege brachte eine ganz eigenartige und unerwartete Wendung in
die Entwicklung unserer den Äther betreffenden Vorstellungen. Für
Maxwell selbst war zwar der Äther noch ein Gebilde mit rein
mechanischen Eigenschaften, wenn auch mit mechanischen Eigenschaften
viel komplizierterer Art als die der greifbaren festen Körper. Aber
weder Maxwell noch seinen Nachfolgern gelang es, ein mechanisches Modell
für den Äther auszudenken, das eine befriedigende mechanische
Interpretation der Maxwellschen Gesetze des elektromagnetischen Feldes
geliefert hätte. Die Gesetze waren klar und einfach, die mechanischen
Deutungen schwerfällig und widerspruchsvoll. Beinahe unvermerkt paßten
sich die theoretischen Physiker dieser vom Standpunkte ihres
mechanischen Programms recht betrübenden Sachlage an, insbesondere
unter dem Einfluß der elektrodynamischen Untersuchungen von Heinrich
Hertz. Während sie nämlich vordem von einer endgültigen Theorie
gefordert hatten, daß sie mit Grundbegriffen auskomme, die ausschließlich
der Mechanik angehören (z.B. Massendichten, Geschwindigkeiten,
Deformationen, Druckkräfte), gewöhnten sie sich allmählich daran,
elektrische und magnetische Feldstärken als Grundbegriffe neben den
mechanischen Grundbegriffen zuzulassen, ohne für sie eine mechanische
Interpretation zu fordern. So wurde allmählich die rein mechanische
Naturauffassung verlassen. Diese Wandlung führte aber zu einem auf die
Dauer unerträglichen Dualismus in den Grundlagen. Um ihm zu entgehen,
suchte man umgekehrt die mechanischen Grundbegriffe auf die elektrischen
zu reduzieren, zumal die Versuche an ß-Strahlen und raschen
Kathodenstrahlen das Vertrauen in die strenge Gültigkeit der
mechanischen Gleichungen Newtons erschütterten.
Bei
H.Hertz ist der angedeutete Dualismus noch ungemildert. Bei ihm tritt
die Materie nicht nur als Trägerin von Geschwindigkeiten, kinetischer
Energie und mechanischen Druckkräften, sondern auch als Trägerin von
elektromagnetischen Feldern auf. Da solche Felder auch im Vakuum - d.h.
im freien Äther - auftreten, so erscheint auch der Äther als Träger
von elektromagnetischen Feldern. Er erscheint der ponderabeln Materie
als durchaus gleichartig und nebengeordnet. Er nimmt in der Materie an
den Bewegungen dieser teil und hat im leeren Raum überall eine
Geschwindigkeit, derart, daß die Äthergeschwindigkeit im ganzen Raume
stetig verteilt ist, Der Hertzsche Äther unterscheidet sich grundsätzlich
in nichts von der (zum Teil in Äther bestehenden) ponderabeln Materie.
Die
Hertzsche Theorie litt nicht nur an dem Mangel, daß sie der Materie und
dem Äther einerseite mechanische, anderseits elektrische Zustande
zuschrieb, die in keinem gedanklichen Zusammenhange miteinander stehen;
sie widersprach auch dem Ergebnis des wichtigen Fizeauschen Versuches über
die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichtes in bewegten Flüssigkeiten
und anderen gesicherten Erfahrungsergebnissen.
So
standen die Dinge, als H.A. Lorentz eingriff. Er brachte die Theorie in
Einklang mit der Erfahrung und erreichte dies durch eine wunderbare
Vereinfachung der theoretischen Grundlagen. Er erzielte diesen
wichtigsten Fortschritt der Elektrizitätstheorie seit Maxwell, indem er
dem Äther seine mechanischen, der Materie ihre elektromagnetischen
Qualitäten wegnahm. Wie im leeren Raume, so auch im Innern der
materiellen Körper war ausschließlich der Äther, nicht aber die
atomistisch gedachte Materie, Sitz der elektromagnetischen Felder. Die
Elementarteilchen der Materie sind nach Lorentz allein fähig,
Bewegungen auszuführen; ihre elektromagnetische Wirksamkeit liegt
einzig darin, daß sie elektrische Ladungen tragen. So gelang es
Lorentz, alles elektromagnetische Geschehen auf die Maxwellschen
Vakuum-Feldgleichungen zu reduzieren.
Was
die mechanische Natur des Lorentzschen Äthers anlangt, so kann man
etwas scherzhaft von ihm sagen, daß Unbeweglichkeit die einzige
mechanische Eigenschaft sei, die ihm H.A. Lorentz noch gelassen hat. Man
kann hinzufügen, daß die ganze Änderung der Ätherauffassung, welche
die spezielle Relativitätstheorie brachte, darin bestand, daß sie dem
Äther seine letzte mechanische Qualität, nämlich die Unbeweglichkeit,
wegnahm. Wie dies zu verstehen ist, soll gleich dargelegt werden.
Der
Raum-Zeittheorie und Kinematik der speziellen Relativitätstheorie hat
die Maxwell-Lorentzsche Theorie des elektromagnetischen Feldes als
Modell gedient. Diese Theorie genügt daher den Bedingungen der
speziellen Relativitätstheorie; sie erhält aber, von letzterer aus
betrachtet, ein neuartiges Aussehen. Sei nämlich K ein
Koordinatensystem, relativ zu welchem der Lorentzsche Äther in Ruhe
ist, so gelten die Maxwell-Lorentzschen Gleichungen zunächst in bezug
auf K. Nach der speziellen Relativitätstheorie gelten aber dieselben
Gleichungen in ganz umgeändertem Sinne auch in bezug auf jedes neue
Koordinatensystem K1, welches in bezug auf K in gleichförmiger
Translationsbewegung ist. Es entsteht nun die bange Frage: Warum soll
ich das System K, welchem die Systeme K1 physikalisch vollkommen
gleichwertig sind, in der Theorie vor letzterem durch die Annahme
auszeichnen, daß der Äther relativ zu ihm ruhe? Eine solche Asymmetrie
des theoretischen Gebäudes, dem keine Asymmetrie des Systems der
Erfahrungen entspricht, ist für den Theoretiker unerträglich. Es
scheint mir die physikalische Gleichwertigkeit von K und K1 mit der
Annahme, daß der Äther relativ zu K ruhe, relativ zu K1 aber bewegt
sei, zwar nicht vom logischen Standpunkte geradezu unrichtig, aber doch
unannehmbar.
Der
nächstliegende Standpunkt, den man dieser Sachlage gegenüber einnehmen
konnte schien der folgende zu sein. Der Äther existiert überhaupt
nicht. Die elektromagnetischen Felder sind nicht Zustände eines
Mediums, sondern selbständige, Realitäten, die auf nichts anderes zurückzuführen
sind und die an keinen Träger gebunden sind, genau wie die Atome der
ponderabeln Materie. Diese Auffassung liegt um so näher, weil gemäß
der Lorentzschen Theorie die elektromagnetische Strahlung Impuls und
Energie mit sich führt wie die ponderable Materie, und weil Materie und
Strahlung nach der speziellen Relativitätstheorie beide nur besondere
Formen verteilter Energie sind, indem ponderable Masse ihre
Sonderstellung verliert und nur als besondere Form der Energie
erscheint.
Indessen
lehrt ein genaueres Nachdenken, daß diese Leugnung des Äthers nicht
notwendig durch das spezielle Relativitätsprinzip gefordert wird. Man
kann die Existenz eines Äthers annehmen; nur muß man darauf
verzichten, ihm einen bestimmten Bewegungszustand zuzuschreiben, d.h.
man muß ihm durch Abstraktion das letzte mechanische Merkmal nehmen,
welches ihm Lorentz noch gelassen hatte. Später werden wir sehen, daß
diese Auffassungsweise, deren gedankliche Möglichkeit ich sogleich
durch einen etwas hinkenden Vergleich deutlicher zu machen suche, durch
die Ergebnisse der allgemeinen Relativitätstheorie gerechtfertigt wird.
Man
denke sich Wellen auf einer Wasseroberfläche. Man kann an diesem
Vorgang zwei ganz verschiedene Dinge beschreiben. Man kann erstens
verfolgen, wie sich die wellenförmige Grenzfläche zwischen Wasser und
Luft im Laufe. der Zeit ändert. Man kann aber auch - etwa mit Hilfe von
kleinen schwimmenden Körpern - verfolgen, wie sich die Lage der
einzelnen Wasserteilchen im Laufe der Zeit ändert. Würde es derartige
schwimmende Körperchen zum Verfolgen der Bewegung der Flüssigkeitsteilchen
prinzipiell nicht geben, ja würde überhaupt an dem ganzen Vorgang
nichts anderes als die zeitlich veränderliche Lage des von Wasser
eingenommenen Raumes sich bemerkbar machen, so hätten wir keinen Anlaß
zu der Annahme, daß das Wasser aus beweglichen Teilchen bestehe. Aber
wir könnten es gleichwohl als Medium bezeichnen.
Etwas
Ähnliches liegt bei dem elektromagnetischen Felde vor. Man kann sich nämlich
das Feld als in Kraftlinien bestehend vorstellen. Will man diese
Kraftlinien sich als etwas Materielles im gewohnten Sinne deuten, so ist
man versucht, die dynamischen Vorgänge als Bewegungsvorgänge dieser
Kraftlinien zu deuten, derart, daß jede einzelne Kraftlinie durch die
Zeit hindurch verfolgt wird. Es ist indessen wohl bekannt, daß eine
solche Betrachtungsweise zu Widersprüchen führt.
Verallgemeinernd
müssen wir sagen. Es lassen sich ausgedehnte physikalische Gegenstände
denken, auf welche der Bewegungsbegriff keine Anwendung finden kann. Sie
dürfen nicht als aus Teilchen bestehend gedacht werden, die sich
einzeln durch die Zeit hindurch verfolgen lassen. In der Sprache
Minkowskis drückt sich dies so aus: nicht jedes in der
vierdimensionalen Welt ausgedehnte Gebilde läßt sich als aus Weltfäden
zusammengesetzt auffassen. Das spezielle Relativitätsprinzip verbietet
uns, den Äther als aus zeitlich verfolgbaren Teilchen bestehend
anzunehmen, aber die Ätherhypothese an sich widerstreitet der
speziellen Relativitätetheorie nicht. Nur muß man sich davor hüten,
dem Äther einen Bewegungszustand zuzusprechen.
Allerdings
erscheint die Ätherhypothese vom Standpunkte der speziellen Relativitätstheorie
zunächst als eine leere Hypothese. In den elektromagnetischen
Feldgleichungen treten außer den elektrischen Ladungsdichten nur
die Feldstärken auf. Der Ablauf der elektromagnetischen Vorgänge im
Vakuum scheint durch jenes innere Gesetz völlig bestimmt zu sein,
unbeeinflußt durch andere physikalische Größen. Die
elektromagnetischen Felder erscheinen als letzte, nicht weiter zurückführbare
Realitäten, und es erscheint zunächst überflüssig, ein homogenes,
intropes Äthermedium zu postulieren, als dessen Zustände jene Felder
aufzufassen wären.
Anderseits
läßt sich aber zugunsten der Ätherhypothese ein wichtiges Argument
anführen. Den Äther leugnen bedeutet letzten Endes annehmen, daß dem
leeren Raume keinerlei physikalische Eigenschaften zukommen. Mit dieser
Auffassung stehen die fundamentalen Tatsachen der Mechanik nicht im
Einklang. Das mechanische Verhalten eines im leeren Raume frei
schwebenden körperlichen Systems hängt nämlich außer von den
relativen Lagen (Abständen) und relativen Geschwindigkeiten noch von
seinem Drehungszustande ab, der physikalisch nicht als ein dem System an
sich zukommendes Merkmal aufgefaßt werden kann. Um die Drehung des
Systems wenigstens formal als etwas Reales ansehen zu können,
objektiviert Newton den Raum. Dadurch, daß er seinen absoluten Raum zu
den realen Dingen rechnet, ist für ihn auch die Drehung relativ zu
einem absoluten Raum etwas Reales. Newton hätte seinen absoluten Raum
ebensogut "Äther" nennen können; wesentlich ist ja nur, daß
neben den beobachtbaren Objekten noch ein anderes, nicht wahrnehmbares
Ding als real angesehen werden muß, um die Beschleunigung bzw. die
Rotation als etwas Reales ansehen zu können.
Mach
suchte zwar der Notwendigkeit, etwas nicht beobachtbares Reales
anzunehmen, dadurch zu entgehen, daß er in die Mechanik statt der
Beschleunigung gegen den absoluten Raum eine mittlere Beschleunigung
gegen die Gesamtheit der Massen der Welt zu setzen strebte. Aber ein Trägheitswiderstand
gegenüber relativer Beschleunigung ferner Massen setzt unvermittelte
Fernwirkung voraus. Da der moderne Physiker eine solche nicht annehmen
zu dürfen glaubt, so landet er auch bei dieser Auffassung wieder beim
Äther, der die Trägheitswirkungen zu vermitteln hat. Dieser Ätherbegriff,
auf den die Machsche Betrachtungsweise führt, unterscheidet sich aber
wesentlich vom Ätherbegriff Newtons, Fresnels und H.A. Lorentz. Dieser
Machsche Äther bedingt nicht nur das Verhalten der trägen
Massen, sondern wird in seinem Zustand auch bedingt durch
die trägen Massen.
Der
Machsche Gedanke findet seine volle Entfaltung in dem Äther der
allgemeinen Relativitätstheorie. Nach dieser Theorie sind die
metrischen Eigenschaften des Raum-Zeit-Kontinuums in der Umgebung der
einzelnen Raum-Zeitpunkte verschieden und mitbedingt durch die außerhalb
des betrachteten Gebietes vorhandene Materie. Diese raum-zeitliche Veränderlichkeit
der Beziehungen von Maßstäben und Uhren zueinander, bzw. die
Erkenntnis, daß der "leere Raum" in physikalischer Beziehung
weder homogen noch isotrop sei, welche uns dazu zwingt, seinen Zustand
durch zehn Funktionen, die Gravitationspotentiale gmn zu
beschreiben, hat die Auffassung, daß der Raum physikalisch leer sei,
wohl endgültig beseitigt. Damit ist aber auch der Ätherbegriff wieder
zu einem deutlichen Inhalt gekommen, freilich zu einem Inhalt, der von
dem des Äthers der mechanischen Undulationstheorie des Lichtes weit
verschieden ist. Der Äther der allgemeinen Relativitätstheorie ist ein
Medium, welches selbst aller mechanischen und kinematischen
Eigenschaften bar ist, aber das mechanische (und elektromagnetische)
Geschehen mitbestimmt.
Das
prinzipiell Neuartige des Äthers der allgemeinen Relativitätstheorie
gegenüber dem Lorentzschen Äther besteht darin, daß der Zustand des
ersteren an jeder Stelle bestimmt ist durch gesetzliche Zusammenhänge
mit der Materie und mit dem Ätherzustände in benachbarten Stellen in
Gestalt von Differentialgleichungen, während der Zustand des
Lorentzschen Äthers bei Abwesenheit von elektromagnetischen Feldern
durch nichts außer ihm bedingt und überall der gleiche ist. Der Äther
der allgemeinen Relativitätstheorie geht gedanklich dadurch in den
Lorentzschen über, daß man die ihn beschreibenden Raumfunktionen durch
Konstante ersetzt, indem man absieht von den seinen Zustand bedingenden
Ursachen. Man kann also wohl auch sagen, daß der Äther der allgemeinen
Relativitätstheorie durch Relativierung aus dem Lorentzschen Äther
hervorgegangen ist.
Über
die Rolle, welche der neue Äther im physikalischen Weltbilde der
Zukunft zu spielen berufen ist, sind wir noch nicht im klaren. Wir
wissen, daß er die metrischen Beziehungen im raum-zeitlichen Kontinuum,
z.B. die Konfigurationsmöglichkeiten fester Körper sowie die
Gravitationsfelder bestimmt; aber wir wissen nicht, ob er am Aufbau der
die Materie konstituierenden elektrischen Elementarteilchen einen
wesentlichen Anteil hat. Wir wissen auch nicht, ob seine Struktur nur in
der Nähe ponderabler Massen von der Struktur des Lorentzschen
wesentlich abweicht, ob die Geometrie von Räumen kosmischer Ausdehnung
eine nahezu euklidische ist. Wir können aber auf Grund der
relativistischen Gravitationsgleichungen behaupten, daß eine Abweichung
vom euklidischen Verhalten bei Räumen von kosmischer Größenordnung
dann vorhanden sein muß, wenn eine auch noch so kleine positive
mittlere Dichte der Materie in der Welt existiert. In diesem Falle muß
die Welt notwendig räumlich geschlossen und von endlicher Größe sein,
wobei ihre Größe durch den Wert jener mittleren Dichte bestimmt wird.
Betrachten
wir das Gravitationsfeld und das elektromagnetische Feld vom Standpunkt
der Ätherhypothese, so besteht zwischen beiden ein bemerkenswerter
prinzipieller Unterschied. Kein Raum und auch kein Teil des Raumes ohne
Gravitationspotentiale; denn diese verleihen ihm seine metrischen
Eigenschaften, ohne welche er überhaupt nicht gedacht werden kann. Die
Existenz des Gravitationsfeldes ist an die Existenz des Raumes
unmittelbar gebunden. Dagegen kann ein Raumteil sehr wohl ohne
elektromagnetisches Feld gedacht werden; das elektromagnetische Feld
scheint also im Gegensatz zum Gravitationsfeld gewissermaßen nur sekundär
an den Äther gebunden zu sein, indem die formale Natur des
elektromagnetischen Feldes durch die des Gravitationsäthers noch gar
nicht bestimmt ist. Es sieht nach dem heutigen Zustande der Theorie so
aus, als beruhe das elektromagnetische Feld dem Gravitationsfeld gegenüber
auf einem völlig neuen formalen Motiv, als hatte die Natur den
Gravitationsäther statt mit Feldern vom Typus der elektromagnetischen,
ebensogut mit Feldern eines ganz anderen Typus, z.B. mit Feldern eines
skalaren Potentials, ausstatten können.
Da
nach unseren heutigen Auffassungen auch die Elementarteilchen der
Materie ihrem Wesen nach nichts anderes sind als Verdichtungen des
elektromagnetischen Feldes, so kennt unser heutiges Weltbild zwei
begrifflich vollkommen voneinander getrennte, wenn auch kausal
aneinander gebundene Realitäten nämlich Gravitationsäther und
elektromagnetisches Feld oder - wie man sie auch nennen könnte - Raum
und Materie.
Natürlich
wäre es ein großer Fortschritt, wenn es gelingen würde, das
Gravitationsfeld und elektromagnetische Feld zusammen als ein
einheitliches Gebilde aufzufassen. Dann erst würde die von Faraday und
Maxwell begründete Epoche der theoretischen Physik zu einem
befriedigenderen Abschluß kommen. Es würde dann der Gegensatz Äther -
Materie verblassen und die ganze Physik zu einem ähnlich geschlossenen
Gedankensystem werden wie Geometrie, Kinematik und Gravitationstheorie
durch die allgemeine Relativitätstheorie. Ein überaus geistvoller
Versuch in dieser Richtung ist von dem Mathematiker H.Weyl gemacht
worden; doch glaube ich nicht, daß seine Theorie der Wirklichkeit gegenüber
standhalten wird. Wir dürfen ferner beim Denken an die nächste,
Zukunft der theoretischen Physik die Möglichkeit nicht unbedingt
abweisen, daß die in der Quantentheorie zusammengefaßten Tatsachen der
Feldtheorie unübersteigbare Grenzen setzen könnten.
Zusammenfassend
können wir sagen: Nach der allgemeinen Relativitätstheorie ist der
Raum mit physikalischen Qualitäten ausgestattet; es existiert also in
diesem Sinne ein Äther. Gemäß der allgemeinen Relativitätstheorie
ist ein Raum ohne Äther undenkbar; denn in einem solchen gäbe es nicht
nur keine Lichtfortpflanzung, sondern auch keine Existenzmöglichkeit
von Maßstäben und Uhren, also auch keine räumlich-zeitlichen
Entfernungen im Sinne der Physik. Dieser Äther darf aber nicht mit der
für ponderable Medien charakteristischen Eigenschaft ausgestattet
gedacht werden, aus durch die Zeit verfolgbaren Teilen zu bestehen; der
Bewegungsbegriff darf auf ihn nicht angewendet werden."
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